das trommelmännchen

                                                                                      nach einem Kinderbuch von Meshak Asare

                                                                    Bitte den Text in den Bildern mitlesen. Er gehört zur Geschichte.

Kwadjo wohnt in Ghana. Er ist ein Ashanti. Die Ashanti waren früher ein mächtiges, reiches Volk.

Sie besaßen sehr viel Gold. Sie bezahlten mit Goldstaub. Der Goldstaub wurde mit Gewichten gewogen.

Die Gewichte der Ashanti waren kleine, kunstvolle Figuren, die einen Gegenstand, ein Sprichwort oder eine Volksweisheit darstellten.

Die Figuren hießen Goldgewichte und wurden aus Bronze gegossen.

Auch heute gibt es noch Künstler, die Goldgewichte herstellen. Kwadjos Vater ist ein solcher Künstler ...

Kwadjo half seinem Vater. Alle Kinder im Dorf halfen ihren Eltern, wenn sie nicht in die Schule mussten.

Manche webten Tücher, andere bedruckten Stoffe und wieder andere schnitzten Holzfiguren.

Goldgewichte herzustellen war eine mühsame Arbeit. Zuerst formte Kwadjos Vater winzige Figuren aus Wachs.

Dann überzog er sie dick mit Lehm.

Es war wie Zauberei. Zuerst waren es kleine Figuren aus Wachs und plötzlich kleine Figuren aus Bronze.

Kwadjos Vater stellte die Lehmformen in den Schmelzofen. Der Lehm wurde heiß, und innen schmolz das Wachs.

Jetzt nahm der Vater die Lehmformen vorsichtig mit einer Eisenzange und goss das Wachs aus.

Im Inneren der Form hatte sich die Wachsfigur ganz genau in Lehm abgedrückt.

Nun wurde die Bronze geschmolzen. Dazu musste der Schmelzofen noch heißer sein.

Kwadjo plagte sich mit den Blasebälgen, bis die Funken nur so stoben.

Als die Bronze anfing zu schmelzen, wurde sie weißglühend und flüssig.

Der Vater hob den Topf mit der Zange heraus, so behutsam wie eine Katze ihr Kätzchen trägt.

Er goss die flüssige Bronze in die Lehmformen.

Kwadjo half seiner Mutter und seiner Schwester bei der Zubereitung des Abendessens. Das Trommelmännchen schaute zu.

Es war Samstagabend. Große Trommeln wurden gebracht. Jeder kam zum Dorfplatz.

Alle konnten tanzen und singen so lange sie wollten, nur Kwadjo saß ganz allein vor der Hütte seines Vaters.

Er hielt das Trommelmännchen in der Hand. 

Kwadjo war es, als sähe das Trommelmännchen ihn an. Die Augen aus Bronze waren nicht mehr blind.

Ein Geheimnis, das sehr alt war, lag darin. "Sag mir dein Geheimnis" flüsterte Kwadjo.

"Schließ die Augen und komm" sagte das Trommelmännchen.

Plötzlich sah Kwadjo einen kleinen Hügel aus Staub vor sich. Der Staub glitzerte. Es war Goldstaub.

Viele kleine Leute waren eifrig dabei, den Goldstaub abzuwägen.

Die kleinen Leute sahen aus wie Goldgewichte.

"Ihr wägt also Gold?" fragte Kwadjo.

"Ja, wir wägen Gold. Aber wir tun noch etwas anderes. Wir lehren die Menschen, wie sie weise werden."

 

"Willst du das wirklich?" fragte das Trommelmännchen. "Dann hör zu.

Vor langer Zeit gab es einen König der Ashanti, der gegen ein anderes Volk in den Krieg zog.

Als der König fort war, dachte sein Schatzmeister: jetzt kann ich mir so viel Gold nehmen, so viel ich nur will.

Er füllte einen großen Topf mit Gold und versteckte ihn.

Kurz darauf starb er, ohne sein Geheimnis verraten zu haben.

"Aber wir, die Goldgewichte, wissen wo der Schatz ist" sagte das Trommelmännchen. "Ich werde es dir sagen".

Kwadjo wurde ganz schwindelig vor Aufregung. Bald würde er einen großen Topf Goldstaub haben.

"Kwadjo, der Schatz liegt in einem dunklen Winkel im Schreinhaus des Palastes."

Das Schreinhaus war die heiligste Stätte des Palastes. Kwadjo war verwirrt und mit Ehrfurcht und Angst erfüllt.

"Wenn du ihn finden willst, musst du tapfer und weise sein. Geh geradeaus.

Vor jeder Tür steht eines von uns Goldgewichten.

Denk daran, dass wir Goldgewichte die Menschen lehren, weise zu sein.

Jedes Goldgewicht stellt ein Sprichwort dar.

Erst wenn du das richtige weißt, darfst du weitergehen. Viel Glück!"

 

 

Bei der zweiten Tür sah er ein paar Männer, die hintereinander in einem Boot saßen.

Auch diesmal wusste er, was das bedeutete. "Ein Mann allein kann nicht ein großes Boot rudern. Gemeinsam sind wir stark".

Vor der dritten Tür sah Kwadjo zwei Früchte der Okropflanze. Er musste eine Weile nachdenken, bis es ihm einfiel.

"Jetzt weiß ich es. Wir sehen nicht, was in einer Okrofrucht drin ist. Genauso wenig wissen wir,

was ein anderer Mensch in seinem Kopf hat."

Das nächste Goldgewicht waren zwei Krokodile, die in der Mitte zusammengewachsen waren.

Sie hatten sich in ihrer Gier gegenseitig auffressen wollen. "Wer nie genug bekommt, ist töricht! Das kenne ich" sagte Kwadjo.

Bisher war es nicht schwer gewesen. Nun musste er noch durch zwei Türen gehen. Dann gehörte das Gold ihm.

Kwadjo kam zur nächsten Tür. Dort stand ein buckliges Männchen. Er überlegte lange - endlich wusste er es.

"Das bucklige Männchen wird immer einen Buckel haben. Was wir nicht ändern können, damit müssen wir uns zufrieden geben".

Nur noch eine Tür! Und drinnen steht der Topf voller Gold. Kwadjo ging auf das heilige Schreinhaus zu.

Je näher er kam, umso größer schien es zu werden. Die hellen Wände aus Lehm waren prächtig verziert.

Die Tür stand offen. Kwadjo wagte sich nicht weiter. Er kam sich auf einmal winzig klein vor.

Vielleicht lässt er mich hinein, auch wenn ich nicht weiß, wer er ist, dachte Kwadjo.

Tapfer wie ein Ashanti sein soll, machte er einen Schritt auf die Tür zu. Er wollte an dem Vogel vorbeilaufen.

In diesem Augenblick geschah es. Der seltsame Vogel stieß einen gellenden Schrei aus.

Da blieb nichts anderes übrig als die Flucht. Kwadjo rannte davon. Der Vogel verfolgte ihn.

Zum Glück tauchte pötzlich das Trommelmännchen auf, und der Vogel blieb stehen.

"Was ist geschehen?" fragte das Trommelmännchen. "Der Vvvogel" stammelte Kwadjo.

"Ach der Sankofa-Vogel?" "Der Sankofa-Vogel!" Plötzlich wusste er das Sprichwort.

"Der Sankofa-Vogel sagt: `´ lerne aus der Vergangenheit!` Darum ist sein Hals nach hinten gebogen."

Kwadjo fing an zu schluchzen. "Das Gold! Das Gold!"

Doch dafür blieb jetzt keine Zeit.

"Der ganze Palast ist schon in Aufruhr", sagte das Trommelmännchen. "Wir müssen weg!"

Es hob die Trommelstöcke und schlug auf die Trommel. Bombombom bombom!

Die Trommelschläge wurden leiser. Langsam verschwamm alles vor Kwadjos Augen und verschwand.

Kwadjo öffnete die Augen. Er sah das Dorf im Silberlicht des Mondes. Er hörte die fröhlichen Stimmen seiner Freunde.

"Komm Kwadjo, es ist Zeit zum Schlafengehen!" Kwadjo schaute um sich.

Er stand auf. Er blickte auf das Trommelmännchen in seiner Hand.

Etwas Geheimnisvolles ging von der kleinen bronzenen Figur aus. Das Trommelmännchen war ein Goldgewicht.

Gold! dachte Kwadjo. Irgendwo ist viel Gold. Irgendwo, sehr weit und gar nicht mehr wichtig.